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Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)

Ernten in Zeiten der Apokalypse  

Energie Ernährungssicherheit Globalisierung Landwirtschaft
Bild der Sonne im Weltall
Sonnenstürme können Ausmaße annehmen, die katastrophale Folgen für unseren Planeten haben. Immerhin: Sie kündigen sich im Voraus an, so dass sich die Menschheit vorbereiten kann. Bild: Braňo / Unsplash

Text: querFELDein

Nukleare Detonationen, Sonnenstürme oder der Ausbruch von Supervulkanen: So unwahrscheinlich sie auch erscheinen mögen, die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass unerwartete globale Katastrophen jederzeit eintreten können. Wie gut unsere globalisierte Landwirtschaft darauf vorbereitet ist, hat ein Team der Universität Gießen untersucht.

Unser heutiges Leben ist ohne die industrialisierte Landwirtschaft kaum vorstellbar. Es ist noch gar nicht so lange her, da bedeutete Landwirtschaft: unsichere und geringe Ernten trotz intensiver körperlicher Arbeit. Große Teile der Bevölkerung mussten als Bauern oder Feldknechte schuften, damit alle satt wurden. Erst im letzten Jahrhundert ermöglichte Energie aus fossilen Brennstoffen den Einsatz von Maschinen, Kunstdünger und Pestiziden. Deutlich stabilere und höhere Ernten waren die Folge, eine wichtige Grundlage für das Bevölkerungswachstum im 20. Jahrhundert. Gleichzeitig konnten sich die Menschen in großem Umfang anderen Tätigkeiten als der Nahrungsmittelproduktion widmen. Der globale Handel verbindet zudem Produzierende mit Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der ganzen Welt. Kleinere und mittlere Störungen konnten so abgefedert werden, etwa wenn in einer Region die Ernte ausfiel.

Doch was passiert, wenn die Versorgung mit Maschinen, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln weltweit ausfällt? Was passiert, wenn Asteroideneinschläge, Vulkanausbrüche oder zusammenbrechende Ökosysteme das System plötzlich aus dem Gleichgewicht bringen? Dieser Frage sind Dr. Florian Ulrich Jehn und Jessica Mörsdorf in einer aktuellen Studie nachgegangen. Neben ihrem Team von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) waren daran auch Forschende der Alliance to Feed the Earth in Disasters (ALLFED) und der University of Canterbury in Neuseeland beteiligt.

Ein Traktor fährt über ein Feld
So weit, so normal - doch was macht die Landwirtschaft, wenn der Einschlag eines Asteroiden den Himmel für mehrere Monate in Dunkelheit hüllt? Foto: Dietmar Reichle / Unsplash

Am Anfang steht der Stromausfall

Die Prämisse der Studie ist schnell erklärt: Nach einem plötzlichen Katastrophenereignis globalen Ausmaßes kommt es zu großflächigen Stromausfällen. “Die globale Industrie und Gesellschaft sind in hohem Maße von Elektrizität abhängig. Ein globaler Stromausfall würde daher die meisten Industrien und Maschinen zum Stillstand bringen”, erklärt Jehn, Umweltwissenschaftler am Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der JLU. Die Auswirkungen beschreibt das Team in zwei Phasen. Im ersten Jahr kann die Landwirtschaft auf Treibstoffreserven zurückgreifen und die Ertragsausfälle sind überschaubarer. Es wird Zeit gewonnen, um sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Dazu zählt unter anderem der Aufbau einer nicht-elektrischen Logistik und die Anpassung der Anbaumethoden. “Entscheidend ist, dass die Landmaschinen im ersten Jahr weiter genutzt werden können. So sind die Menschen zunächst versorgt, während sie sich auf den Übergang zu einem von Mensch und Tier betriebenen System vorbereiten”, so Jehn.

Strom makes the world go around. Ein großflächiger Ausfall der Stromversorgung würde unsere Welt aus dem Gleichgewicht bringen. Foto: Fré Sonneveld / Unsplash

Wie hoch wären die Ernteverluste?

Nach dem ersten Jahr beginnt nun die zweite Phase. Die Vorräte an Kraftstoffen, Düngern etc. sind aufgebraucht. Jetzt kommen die Folgen des Stromausfalls voll zum Tragen. Frühere Studien gingen bei vergleichbaren Szenarien von Ertragseinbußen von 60 Prozent im Vergleich zu heute aus. Die neue Studie von Jehn & Co. nimmt eine genauere Abschätzung vor und unterscheidet auch zwischen verschiedenen Weltregionen. Sie zeigt, dass die Gesamterträge um 35 bis 48 Prozent zurückgehen würden. Regionen mit hoch industrialisierter Landwirtschaft wären jedoch deutlich stärker betroffen, insbesondere Europa, Nord- und Südamerika sowie Teile Asiens. Hier könnten die Verluste bis zu 75 Prozent und mehr betragen. Es gibt Faktoren, die auch die aktuelle Studie nicht einberechnen kann, wie beispielsweise die Verfügbarkeit von Saatgut. Diese würden die Situation jedoch eher noch verschärfen.

Vulkanausbruch mit glühender Lave
Vulkanausbrüche in Island legten 2010 den europäischen Flugverkehr für mehrere Tage lahm, gefährdeten aber nicht die globale Ernährungssicherheit. Bricht ein sogenannter Supervulkan aus, kann die Situation anders aussehen. Foto: Toby Elliott / Unsplash

Systeme widerstandsfähiger machen

Die Ergebnisse der Studie bestätigen: Ein plötzlicher Ausfall der Infrastruktur wäre für die Landwirtschaft verheerend. “Das heißt aber nicht, dass wir nichts tun können, um uns besser vorzubereiten”, betont Jehn. So könnten wir Anbaumethoden fördern, die weniger abhängig von Düngemitteln und Pestiziden sind, wie die kleinbäuerliche Landwirtschaft, den ökologischen Landbau oder die Permakultur. “Dabei dürfen wir aber nicht ein Problem durch ein anderes ersetzen”, warnt Jehn. “Biologische Landwirtschaft braucht zum Beispiel mehr Land pro produziertem Lebensmittel und Permakultur kann viel Handarbeit erfordern.”

Ähnlich sieht es bei den Nahrungsmittelvorräten aus, die derzeit weltweit für etwa vier bis sieben Monate reichen. Eine größere Vorratshaltung von Nahrungsmitteln kann zwar globale Notsituationen abfedern, hat aber auch ihre Tücken. Sie ist mit hohen Kosten verbunden, treibt die weltweiten Nahrungsmittelpreise in die Höhe und kann so bestehende Ernährungsunsicherheiten verschärfen.

Die Stromnetze widerstandsfähiger gegen solche Vorfälle zu machen, hilft in jedem Fall. “Wenn wir es schaffen, dass die Stromversorgung nicht komplett zusammenbricht, werden alle anderen Strategien zur Bewältigung einer Katastrophe einfacher”, sagt Jehn. Sein Team empfiehlt zudem ein breiter aufgestelltes Ernährungssystem. Produktion, Handel, Pflanzenzucht und Saatgutproduktion: Derzeit werden diese Bereiche von wenigen Ländern und Konzernen dominiert. Zudem konzentriert sich das Angebot auf wenige Produkte wie Mais oder Weizen. Fällt nur einer dieser Bereiche aus, hat das weitreichende Folgen. Kleinere, gleichmäßiger über den Globus verteilte Versorgungsnetze könnten einem globalen katastrophalen Ausfall der Infrastruktur besser standhalten.

„Unsere Studie zeigt, dass es dringend erforderlich ist, landwirtschaftliche Systeme robuster für derartige Störungen zu machen“, so Jehn. Das hätte auch positive Nebeneffekte: Eine größere Vielfalt an Grundnahrungsmitteln erhöht gleichzeitig die Artenvielfalt. Durch mehr ökologischen Landbau könnte der Einsatz von künstlichen Mineraldüngern und Pflanzenschutzmitteln reduziert werden. „Generell ist es notwendig, den Energieeinsatz in der Landwirtschaft zu reduzieren“, sagt Jehn. „Dies würde auch zum Klimaschutz beitragen.“

Institution: Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)
Ansprechpartner/in: Dr. Florian Ulrich Jehn

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