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Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)

Die Konfliktmanager  

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Freude, Angst oder gar Wut – der Anblick eines Wolfes in freier Wildbahn erzeugt die unterschiedlichsten Reaktionen.© Dr. Frank-Uwe F. Michler

Text: HEIKE KAMPE

Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind immer auch Lebensraum. Einige Tiere stellen die  Landwirtschaft dabei vor große Herausforderungen. Sie zerstören Saaten und Ernten oder reißen Nutztiere. ZALF-Forscher Hannes König arbeitet zusammen mit seiner Nachwuchsforschungsgruppe »Mensch-Wildtierkonflikte in Agrarlandschaften« an neuen Instrumenten für ein Wildtiermanagement, das diese Konflikte minimieren soll. Bei ihrer Jagd nach Forschungsdaten steht die intensive Beobachtung der Lebensweise von Wolf, Wildschwein, Wisent und Co. im Mittelpunkt.

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Für die einen ist es ein Glücksmoment, andere empfinden Angst oder gar Wut – der Anblick eines Wolfes in freier Wildbahn erzeugt die unterschiedlichsten Reaktionen. Im 18. Jahrhundert war das Raubtier in Deutschland ausgerottet. Nach und nach wandern die Wölfe seit den 1990er Jahren wieder ein und erobern sich große Gebiete ihres alten Lebensraums zurück. Mehr als 100 Rudel sind inzwischen in Deutschland heimisch. Dass sich die streng geschützte Art hier vermehren kann, ist für den Umweltschutz eine Erfolgsgeschichte. Viehhalter sind dagegen meist weniger begeistert und betrachten die Rückkehr des Wolfs mit großer Sorge. Sie fürchten um ihre Existenzgrundlage, wenn auf ihren Weiden Schafe oder Kälber gerissen werden.

Genutztes Land und Lebensraum

Es sind Konflikte wie diese, die der Agrarwissenschaftler Dr. Hannes König erforscht. Er leitet am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. die Nachwuchsforschungsgruppe »Mensch-Wildtierkonflikte in Agrarlandschaften«, kurz LandSTRAT. Seit 2017 untersucht das Team Landnutzungskonflikte zwischen Menschen und Wildtieren auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. In mehreren Projekten identifizieren die Forschenden in Biosphärenreservaten in Deutschland und Schweden, wann und wo welche Schäden auftreten, wer davon betroffen ist und wie sich das Risiko verringern lässt.

Der Wolf ist wohl das prominenteste Beispiel dafür, dass die Debatte über Konflikte zwischen Mensch und Wildtier mitunter sehr emotional geführt wird. Doch nicht nur der Wolf führt zu Konflikten in Agrarlandschaften. Auch Kranich und Wildschwein stoßen bei Landwirtinnen und Landwirten nicht immer auf Gegenliebe. Wildschweine durchwühlen mit ihren Rüsseln den Boden auf der Suche nach Würmern und Insekten und graben den Boden gründlich um. Nach einem ausgiebigen nächtlichen Gelage hinterlässt eine Rotte aus mehreren Tieren ein Feld der Verwüstung. Weder Wiesen noch Weiden, Getreide- und Maisäcker sind vor ihnen sicher.

Auch mit dem Kranich gibt es Ärger: vor allem im Frühjahr, wenn die großen Zugvögel aus dem Süden in ihre Brutgebiete zurückkehren. Die Saaten und Keimlinge auf den frisch bestellten Feldern sind eine willkommene Stärkung. »Dann kann es tatsächlich auch zu massiven Schäden kommen, vor allem bei Mais, Leguminosen und Sonderkulturen wie zum Beispiel Kartoffeln und Erbsen«, sagt Hannes König.

Kraniche auf abgeerntetem Stoppelfeld. Foto: Johan Mansson
Kraniche auf abgeerntetem Stoppelfeld. © Johan Mansson

Wildtierschäden sind geringer als Klimaschäden

Um das Ausmaß der Konflikte und Schäden einzuschätzen, befragte das Forschungsteam rund 40 Landwirtinnen und Landwirte, die Flächen im Biosphärenreservat Schalsee und dem schwedischen Biosphärenreservat Kristianstad Vattenrike bewirtschaften. Gleichzeitig stellten sie über 60 Fotofallen am Schalsee auf und beobachteten 14 Monate lang die Aktivitätsmuster der Wildtiere in den verschiedenen Schutzzonen. Viele Tausend Bilder wurden ausgewertet und ermöglichen Rückschlüsse, welche Landschaftsstrukturen, Wetterdaten und sogar Mondphasen darüber bestimmen, wann sich die Tiere wo aufhalten.

Die Interviews zeigten, dass die Schäden durch Wildtiere sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. Während der Verlust durch Fraß oder Wühlen für einige Betriebe unbedeutend ist, geht es bei anderen durchaus um nennenswerte Einbußen. Bemerkenswert ist aber, dass die Schäden durch Wildtiere bei den befragten Landwirtinnen und Landwirten nicht an erster Stelle stehen. Stattdessen schmälern Dürre, Überschwemmungen, der Klimawandel und auch Preisschwankungen auf den Märkten die Einkommen viel stärker als wühlende Wildschweine und Saat fressende Kraniche. Dass sich die Schäden durch Klimawandel und Wildtiere durchaus gegenseitig hochschaukeln können, zeigt das Dürrejahr 2019: Viele kleine Gewässer, in denen die Kraniche sonst brüten, waren wegen des ausgebliebenen Regens ausgetrocknet. In der Folge flogen die Tiere, die sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern mussten, auf die umliegenden Felder und fraßen sich dort satt.

Von den zunehmend milder werdenden Wintern profitieren außerdem die Wildschweine. Die Populationen nehmen massiv zu – und mit ihnen die Schäden. Die Fotofallen der Forschungsgruppe offenbaren, wo sich Wildschweine besonders gern aufhalten: an den Übergängen zwischen Wald und Acker, wo die schützende Deckung des Waldes und die Nahrungsquellen auf den Äckern dicht beieinanderliegen.

Eine Wisentherde auf einem Acker. Foto: Marcin Grzegorzek
Eine Wisentherde auf einem Acker. © Marcin Grzegorzek

Jagd als letztes Mittel

Wie aber kann das systematische Monitoring nun zu einem verbesserten Wildtiermanagement führen, das die Schäden für die Landwirtschaft gering hält, gleichzeitig aber die gefährdeten Tierarten schützt? »Wir identifizieren Zeiten und Räume, in denen Konflikte verstärkt auftreten können – etwa durch den Lebenszyklus der Tiere, durch Jahreszeiten oder durch Landschaftsstrukturen«, erklärt Hannes König. Dort, wo hohe Schäden wahrscheinlich sind, können Jagdzeiten und -methoden angepasst werden. Gezielte Maßnahmen zum Verscheuchen der Tiere oder Ablenkfütterungen können die Felder vor dem Schlimmsten bewahren. In Schweden werden die eintreffenden Kraniche seit Jahren mit Fütterungen auf ausgewählten Flächen von den frischen Saaten ferngehalten. Erste Versuche scheinen auch in Deutschland erfolgreich zu sein. Zusätzlich wird mit veränderten Aussaatzeiten und -tiefen experimentiert, um die Saaten zu schützen. Auch Ausgleichszahlungen der öffentlichen Hand beruhigen die Gemüter und befrieden Konflikte.

Als letztes Mittel der Wahl ist in Schweden sogar die Jagd auf Kraniche möglich, die aber streng reguliert und nur mit Genehmigung erlaubt ist. »Das wird selten gemacht«, betont Hannes König. »Durch die Ablenkfütterung gibt es eine funktionierende vorbeugende Maßnahme, im Schadensfall einen verlässlichen Ansprechpartner und ein transparentes System für Kompensationszahlungen.« Einen ähnlichen Weg geht Deutschland inzwischen auch beim Wolfsmanagement. Durch eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes im vergangenen Jahr dürfen Wölfe bei wiederholten Nutztierrissen abgeschossen werden. »Bis jetzt wurde in Brandenburg davon kein Gebrauch gemacht«, so Hannes König. »Tierhalter haben nun aber für den Notfall ein Instrument in der Hand und fühlen sich nicht mehr allein gelassen.«

Momentan wertet das Team noch Nachtaufnahmen aus. Sie sollen zeigen, wann und wo Wildschweine nachts aktiv sind, um sie effizient bejagen zu können. Dabei spielen Vollmondnächte eine besondere Rolle, denn ohne Nachtsichtgerät ist eine Jagd nur bei Mondschein möglich. Die Forschenden wollen herausfinden, ob die Tiere durch ihre Erfahrungen in Vollmondnächten vorsichtiger geworden sind.

Dass der Griff zum Gewehr auch vorschnell geschehen kann, zeigt die Geschichte eines vor drei Jahren aus Polen eingewanderten streng geschützten Europäischen Wisents. »Wenige Stunden nach der Ankunft wurde es von Jägern in Brandenburg illegal erlegt«, erzählt Hannes König. Ein Fehler, der auch aufgrund unstimmiger Anweisungen durch Behörden und Missverständnisse in der Meldekette geschah. Mit dem Aufbau eines Wisentmanagements will man künftig besser vorbereitet sein und mögliche Schäden verhindern. »Wahrscheinlich wird sich auch das Wisent wieder in Deutschland etablieren«, prognostiziert König. »Allein in Westpolen nahe der deutschen Grenze leben mittlerweile etwa 300 Tiere.« Vor allem für den Verkehr können die Kolosse, die bis zu einer Tonne wiegen und damit größer sind als ihre nordamerikanischen Verwandten, die Bisons, gefährlich werden. Gleiches gilt für den Elch, der sich ebenfalls allmählich wieder in Deutschland ansiedelt. »Deshalb müssen wir jetzt die Konfliktpotenziale erkennen und Pläne für ein Management entwickeln«, erklärt der Forscher.

Ein betäubtes junges Wisent wird im Rahmen einer anstehenden Umsiedelung geborgen. Foto: Henrik Reinke
Ein betäubtes junges Wisent wird im Rahmen einer anstehenden Umsiedelung geborgen. Begleitet wird diese Umsiedelung durch eine medizinische Untersuchung, nach der das Wisent mit einem Telemetrie Sender ausgestattet wird, um die Bewegungsdaten des Tieres in Echtzeit verfolgen zu können. © Henrik Reinke

Tierhalter sind gefordert

Um die dafür notwendigen Daten zu erheben, statten die Forschenden bis zu 30 »grenznahe« Wisente und Elche in Polen und auch in Deutschland mit Sendern aus, um die Wanderrouten der Tiere zu bestimmen, mit Landnutzungsdaten abzugleichen und daraus abzulesen, wo sie sich bevorzugt aufhalten. Die Sender könnten auch als Frühwarnsysteme genutzt werden, die in Echtzeit abbilden, wann sich ein Tier der Grenze, einem Acker oder einer dicht befahrenen Straße nähert. Wie sich Konflikte vermeiden lassen, zeigen auch Beispiele eines erfolgreichen Wisentmanagements in Polen, wo die seltenen Tiere mithilfe von Drohnen von Ackerflächen vertrieben werden. »Hiervon können wir lernen, um wissenschaftlich basierte Instrumente für das Wildtiermanagement zu entwickeln«, erklärt Hannes König.

Während Wisent und Elch hierzulande noch selten ein Ärgernis bedeuten, ist das Image des zurückgekehrten Wolfs bereits erheblich angekratzt. Häufig zu Unrecht, sagt Hannes König. »Nutztierrisse im Revier eines Wolfes sind eher Zufallsereignisse. Nahrungsanalysen zeigen, dass über 95 Prozent der Wolfsbeute Wildtiere sind«, erklärt er. Die Daten der Forschungsgruppe zeigen auch, dass sich Wölfe häufig dort aufhalten, wo die Wildtierbestände hoch sind und sich damit leicht Nahrung finden lässt. Wo sich der Wolf gern aufhält, reißt er aber auch mehr Nutztiere. Rehe, Hirsche oder Wildschweine im Rahmen der Möglichkeiten intensiver zu bejagen, wäre eine Maßnahme, eine Region für Wölfe uninteressanter werden zu lassen und Weidetiere zu schützen. Diese These wollen die Forschenden nun mit weiteren Daten überprüfen.

»Elektrozäune und Herdenschutzhunde sind notwendig, um dem Wolf die Jagd auf Weidetiere möglichst schwer zu machen.« - Dr. Hannes König
Agrarwissenschaftler Hannes König will mit seiner Forschung Konflikte zwischen Landwirtschaftsbetrieben und Wildtieren reduzieren. © Hannes König

Dennoch ist mit der Rückkehr des Wolfes ein Systemwechsel in der Weidehaltung unvermeidlich. Gerade in Wolfshochburgen sind Elektrozäune und Herdenschutzhunde notwendig, um dem Wolf die Jagd auf Weidetiere möglichst schwer zu machen. »Diese Schutzmaßnahmen müssen von den Haltern konsequent umgesetzt werden«, betont König. Der Forscher beobachtet nach einer anfänglichen Zurückhaltung nun zunehmend ein Umdenken. »Dafür braucht es Zeit, Überzeugungsarbeit und auch Erfahrung, aber letztlich zahlt es sich aus.«

Dr. Hannes König leitet am ZALF die Nachwuchsforschungsgruppe »Mensch-Wildtierkonflikte in Agrarlandschaften«.

Erschien zuerst im/auf: querFELDein
Institution: Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF)
Ansprechpartner/in: Dr. Hannes König

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  1. Hannes König

    Hallo Hans-Peter
    vielen Dank für Ihren Kommentar. Zunächst, das FELD-Format ist explizit populärwissenschaftlich.
    Zu den dokumentierten Ereignissen von durch Kraniche entstandene Fraßschäden ein paar Beispiele/ Anmerkungen:
    1.) Im UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee gibt es dokumentierte Beispiele von Kranich-Frühjarssaat-Schäden. Diese wurden durch s.g. „Nichtbrüter“ verursacht welche täglich auf ein und demselben Schlag Leguminosen/Erbsenkeimlinge gefressen haben. Dadurch das die Vögel sehr standorttreu waren, hat das zu lokalen Verlusten der Saat/ Keimlinge geführt.
    2.) Im Frühjahr 2020 wurden wir zu einem vom WWF begleiteten Versuch herangezogen, bei dem es Saat-Verluste in nennenswerte Größe im Duvenseer Moor gab. Grund hierfür war wahrscheinlich, dass es in zwei aufeinander folgenden Sommern so trocken war, dass Kraniche ihre Brutstätten nicht beziehen konnten und zusammen mit „Nichtbrütern“ (wieder sehr standorttreu) einen Schlag mit auflaufenden Mais aufgesucht haben.
    3.) Von Wissenschaftlerkollegen der SLU Schweden, mit denen wir eng kooperieren; wissen wir, dass es dort im UNESCO-Biosphärenreservat Vattenrikke regelmäßig zu Fraßschäden durch Kraniche kommt. Aus diesem Grund wurde dort für einen kurzen Zeitraum im Frühjahr ganz gezielt, und regelmäßig eine Ablenkfütterung in Kooperation mit lokalen Landwirten installiert. Das funktioniert meisten auch gut.
    Für nähere / weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
    Gruß Hannes König

  2. Hans-Peter

    Also die Behauptung dass Kraniche soviel Schaden anrichten ist nach der Untersuchung am Kranichrastplatz Linum in Brandenburg eher unwahrscheinlich (vgl. K. Hühn: Kraniche zwischen Landwirtschaft und Tourismus, Berlin 2017). Zum Zeitpunkt der Aussaaten sind die Kraniche im Frühjahr schon wieder weitergezogen und für die Landwirte sind die Übersommerer und wenigen Brautpaare im Verhältnis zu anderen Schadtieren völlig akzeptabel.
    Bitte nicht so populärwissenschaftlich oberflächlich!
    Herzliche Grüße an Herrn König…

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