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Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)

Der Brexit eröffnet neue Chancen für Europas Agrarpolitik  

Agrarpolitik Boden
Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg | © Anna Logue Fotografie
Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg | © Anna Logue Fotografie

Text: PROF. DR. FRIEDRICH HEINEMANN

Es ist unbestritten, dass der Brexit je nach finaler Ausgestaltung dem Vereinigten Königreich und der EU-27 erheblichen ökonomischen Schaden zufügen kann. Trotzdem ist es an der Zeit, auch die Chancen in den Blick zu nehmen. Ein großes europäisches Land erlangt auf wichtigen Gebieten neue wirtschaftspolitische Autonomie. Damit kann es eigenständig Reformen einleiten, die in der EU oft scheitern. Das Argument der Brexiteers, dass der Austritt eine bessere Politik ermöglicht, wird auf dem Kontinent belächelt oder als Sehnsucht nach einem unfairen Standortwettbewerb diskreditiert. Diese Sichtweise ist zu einseitig, wie es aktuell die Wende der britischen Landwirtschaftspolitik im Kontrast zur kontinentalen Reformverweigerung belegt.

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Die britische Regierung wagt mit ihrer neuen Agrargesetzgebung einen Neuanfang nach dem Abschied von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Union. In der GAP fließen die Landwirtschaftssubventionen bekanntlich seit Jahrzehnten als Pauschalzahlungen pro Hektar. Ökologische Auflagen sind weitgehend unwirksam. Dies belegen wissenschaftliche Studien und Berichte des Europäischen Rechnungshofes. Mit gut 40 Milliarden Euro jährlich wird somit ein knappes Drittel des gesamten EU-Haushalts bis heute ohne soziale oder ökologische Zielgenauigkeit auf die Konten der Bauern überwiesen. Dies nützt in letzter Konsequenz nicht einmal den aktiven Landwirten, sondern eigentlich nur den Bodenbesitzern, weil Pachten und Bodenpreise steigen. Damit ist die EU-Agrarpolitik das Paradebeispiel für eine gescheiterte europäische Politik, die zwar sehr viel europäisches Geld kostet, aber keinen erkennbaren europäischen Mehrwert liefert.

Großbritannien krempelt seine Agrarpolitik dort um, wo die EU zögert

Britische Regierungen haben die GAP in der Vergangenheit immer gegeißelt. Das Land hatte mit seinem Ruf nach Reformen gegen die kontinentalen Besitzstandswahrer in den Verbänden, in den nationalen Regierungen und im Europäischen Parlament niemals eine Chance. Der neue Gesetzentwurf aus London zeigt, dass sich die angestaute Frustration mit dem Brexit in einer großen Bereitschaft zum Systemwechsel Luft macht. Das neue Gesetz will das System der Direktzahlungen umkrempeln. Die Zahlungen sollen nicht länger in Abhängigkeit von der bewirtschafteten Fläche erfolgen. Stattdessen sollen britische Landwirte in Zukunft Geld vom Steuerzahler erhalten, wenn sie öffentliche Güter bereitstellen. Die zu fördernden Leistungen umfassen Beiträge zur besseren Luft- und Wasserqualität, zu höheren Tierschutzstandards oder auch Maßnahmen zur Verringerung von Überschwemmungsrisiken. In der Logik des britischen Neuanfangs in der Agrarpolitik werden die pauschalen Transfers an (oftmals wohlhabende) Bauern somit durch eine Bezahlung der Bauern für messbare Beiträge zum Gemeinwohl ersetzt.

Der Gegensatz zwischen diesem mutigen Neuanfang in Großbritannien und der Zögerlichkeit der GAP-Reform in der EU ist groß. Für den nächsten siebenjährigen Finanzrahmen der Union für die Jahre 2021 bis 2027 hatte die Europäische Kommission nur vorsichtige Korrekturen vorgeschlagen. Die Zahlungen werden demnach minimal zurückgefahren, für den gesamten Zeitraum sind immer noch gut 250 Milliarden Euro an Direktzahlungen zuzüglich Inflationsausgleich vorgesehen. Durch so genannte „Öko-Regelungen“ soll zwar ein Teil der Gelder an Gegenleistungen der Landwirte auf den Gebieten Tier-, Natur- und Klimaschutz geknüpft werden. Diese Regelungen bleiben bislang aber äußerst vage. Noch dazu soll den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, wie genau die ökologischen Auflagen zur Anwendung kommen. Obwohl die Reformvorschläge halbherzig ausgefallen sind, haben sie einen massiven Widerstand mobilisiert. Die Allianz der Traktoren mit den Agrarlobbyisten in Regierungen, Parlamenten und Verbänden ist dabei, sogar diese moderaten Reformideen abzuwehren. Die Sichtweise, dass die Direktzahlungen ein ewiger Besitzstand der Landwirte ohne Gegenleistung sind, könnte am Ende auch den neuen EU-Finanzrahmen bis 2027 prägen.

Kontinentaleuropa verzerrt den Wettbewerb auf den internationalen Agrarmärkten

Damit sieht es derzeit danach aus, als ob der erste Punkt im neuen europäischen Politikwettbewerb an das Vereinigte Königreich geht. Es ist auch in keiner Weise sachgerecht, den Briten an dieser Stelle unfairen Wettbewerb vorzuwerfen. Es sind die Kontinentaleuropäer, die weiterhin mit nicht stichhaltig legitimierten Subventionen den Wettbewerb auf den internationalen Agrarmärkten verzerren.

Das Beispiel Landwirtschaftspolitik zeigt: Es ist nicht alles schlecht am Brexit. Das Vereinigte Königreich kann künftig als Entdeckungslabor für innovative Politikansätze dienen und in den erfolgreichen Fällen eine Vorbildfunktion für die EU übernehmen. In der Agrarpolitik helfen die Briten gerade dabei, das Festhalten der EU an den Direktzahlungen zu demaskieren als das was es ist: eine kostspielige Unfähigkeit zur Reform aufgrund machtvoller sektoraler und nationaler Sonderinteressen zum Schaden Europas.

Institution: Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
Ansprechpartner/in: Prof. Dr. Friedrich Heinemann

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