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Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB)

Biogas am Wendepunkt  

Biogas Biomasse Energieträger Landwirtschaft
Biogasanlage neben einem Feld.
© Gerald Krieseler | Pixabay

Text: PETRA KRIMPHOVE

Sind Biogasanlagen in Zeiten der sinkenden finanziellen Förderung noch konkurrenzfähig? Nur, wenn sie flexibler und effizienter werden. In Potsdam arbeiten Forscherinnen und Forscher an der Biogasanlage der Zukunft.

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Neues Futter muss her. Pflanzen, die wie bisher eigens für die Vergärung im Fermenter angebaut werden, sollen in Biogasanlagen künftig nicht mehr zum Einsatz kommen. „Das Wichtigste ist, von solchen Energiepflanzen umzusteigen auf eh anfallende Reststoffe aus der Landwirtschaft oder Abfälle aus der Lebensmittelindustrie“, sagt die wissenschaftliche Direktorin des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und BioökonomieBioökonomieDer Begriff Bioökonomie (auch biobasierte Wirtschaft genannt), wie er in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion genutzt wird, umfasst alle industriellen und wirtschaftlichen Sektoren und deren zugehörige Dienstleistungen, die biologische Ressourcen produzieren, ver- und bearbeiten oder diese in verschiedenen Formen nutzen.
(Quelle: https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z)
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(ATB), Prof. Dr. Annette Prochnow.

Mais galt lange Zeit als ideales Futter für die Biogasanlage. Er liefert gute Erträge auf dem Acker und eine hohe Methanausbeute im Fermenter. Das ist wichtig, weil Methan beim Verbrennen sehr viel Energie freisetzt. „Dadurch hat Mais viele andere Pflanzen aus dem Feld geschlagen“, erklärt die Forscherin. Dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Vergärung von Energiepflanzen lange Jahre mit einem Bonus förderte, machte deren Anbau für Landwirtinnen und Landwirte zusätzlich attraktiv.

Mais galt lange als ideale Energiepflanze. Heutzutage sieht man die
Mais galt lange als ideale Energiepflanze. Heutzutage sieht man die "Vermaisung" der Landschaft und der damit einhergehende Rückgang der Biodiversität kritisch. © Rudy and Peter Skitterians | Pixabay

Doch dann wuchs die Kritik an der „Vermaisung“ der Landschaft und eines damit einhergehenden Verlusts an Biodiversität. Im Zuge der sogenannten Tank-oder-Teller-Debatte stellt sich zudem die Frage, ob der hohe Flächen- und Energieaufwand für den Anbau von Pflanzen gerechtfertigt ist, die einzig der Energiegewinnung und nicht der Ernährung dienen.

„Die Biogasanlagen sind an einem Wendepunkt angekommen“, fasst die Agrarwissenschaftlerin Annette Prochnow die Diskussion zusammen. Der Energiepflanzen-Bonus wurde bereits gestrichen, auch die durch das EEG einst garantierten festen Abnahmepreise für den eingespeisten Strom sind passé. Seit 2017 schreibt die Bundesnetzagentur nun jährlich ein festes Megawatt-Volumen für Biogasanlagen aus, das im Rahmen des EEG gefördert wird. Betreiberinnen und Betreiber geben dann Gebote ab, wie viel Strom sie zu welchem Preis bereitstellen können. Wer am wenigsten verlangt, hat die besten Chancen, zum Zuge zu kommen. Denn der Fördertopf ist gedeckelt.

Für viele Landwirtinnen und Landwirte hat sich das Biogas über die Jahre zu einer wertvollen und zuweilen sogar überlebensnotwendigen Einnahmequelle entwickelt. Mehr als 9.000 Anlagen in ganz Deutschland zeugen von der einstigen Förderpolitik. Es sind mehr als in jedem anderen europäischen Land. Zum Vergleich: In Frankreich waren es Ende 2017 nur 550. Nun ist die Unruhe unter deutschen Betreiberinnen und Betreibern groß, der finanzielle Druck wächst: Die Anlagen müssen effizienter werden und neue Erlösquellen erschließen, soll sich ihr Einsatz weiter rentieren.

Die Forscherinnen und Forscher des ATB richten ihren Blick in diesem Kontext nicht nur auf die technische Weiterentwicklung der Systeme, sondern auch auf neue Geschäftsmodelle. Statt Energiepflanzen eigens für den Fermenter anzubauen, ließe sich die auf dem Hof sowieso anfallende Biomasse – wie etwa Gülle und Festmist – durch zugelieferte Einsatzstoffe ergänzen.

Aus Mist und Gülle und zugelieferten Reststoffen könnten Landwirte und Landwirtinnen Strom und Wärme produzieren.
Aus Mist und Gülle und zugelieferten Reststoffen könnten Landwirte und Landwirtinnen Strom und Wärme produzieren. © Sabine van Erp | Pixabay

Dreifach gewinnen mit Reststoffen

„Reststoffverwertung kann ein Markt werden“, sagt Annette Prochnow. Künftig könnten zum Beispiel Restaurants, die Lebensmittelindustrie oder Abfallwirtschaftsbetriebe für die Entsorgung ihrer organischen Abfälle an die Landwirtinnen und Landwirte zahlen. Die schlügen so drei Fliegen mit einer Klappe: Sie verdienen erstens an der Abnahme der zugelieferten Biomasse und zweitens an dem erzeugten Strom und der im Prozess entstehenden Wärme. Diese Abwärme könnte noch konsequenter als bisher genutzt und zu Geld gemacht werden, ist Annette Prochnow überzeugt. Aquakulturen, Brauereien und Gewächshäuser sind dankbare Abnehmer. Und drittens lassen sich die aufbereiteten Gärreste als hochwertiger Dünger verkaufen. So wäre die Biogasproduktion auch ohne staatliche Förderung weiterhin attraktiv.

In dieser Vision müssten die Fermenter allerdings mit einer für sie ungewohnten Mischung an Einsatzstoffen zurechtkommen. Mal Bioabfälle, mal Gras und Gülle oder Festmist. „Die neue Technik muss flexibel auf verschiedene Reststoffe reagieren können“, benennt Annette Prochnow eine der größten Herausforderungen. Dazu könne man bestehende Anlagen nachrüsten. Technisch machbar sei dies, sagt Annette Prochnow, die Kosten hingen vom Anlagentyp ab. Sie lenkt den Blick in das Innere des Tanks, auf die mikrobielle Ebene. „Wir müssen den Vergärungsprozess besser verstehen, kontrollieren und steuern.“ Denn nur ein reibungslos arbeitender Fermenter erzeugt Strom.

In einer Biogasanlage (oder Fermenter) entsteht Biogas durch die Vergärung (Fermentierung) von Biomasse.
In einer Biogasanlage (oder Fermenter) entsteht Biogas durch die Vergärung (Fermentierung) von Biomasse. © Philipp Pohlmann | Pixelio

Die meisten Landwirtinnen und Landwirte betreiben ihre Anlagen nach bewährten Abläufen und lassen die Einsatzstoffe, Fermenterinhalte und Gärreste regelmäßig im Labor auf chemische Prozessparameter analysieren, um zu erfahren, ob der Prozess optimal abläuft. Ansonsten sind Biogasanlagen eine Art Blackbox. Was sich in ihrem Inneren abspielt, gibt selbst Fachleuten noch einige Rätsel auf.

In jedem Fermenter bildet sich eine einzigartige mikrobielle Gemeinschaft aus. Sie zersetzt die Einsatzstoffe unter Ausschluss von Sauerstoff. Rund 2.000 unterschiedliche Mikroorganismenarten sind an diesem Prozess beteiligt. „Doch nur von ein bis zwei Prozent kennt man die genaue Funktion im Prozess“, sagt Dr. Susanne Theuerl vom ATB. Die Mikrobiologin forscht an einem besseren Verständnis der mikrobiellen Prozesse, die für den effizienteren Betrieb der Anlagen elementar sind: Wie reagieren diese mikrobiellen Gemeinschaften, wenn sich die Zusammensetzung der Einsatzstoffe oder Prozesse verändern?

Eines ist klar: Eine ideale Biomasse existiert nicht. „Aus Abfällen der Lebensmittelindustrie wie Altfrittierfett oder Käsereiabfällen lassen sich die höchsten Methanausbeuten erzielen“, nennt Susanne Theuerl Beispiele. Diese Einsatzstoffe erhöhen jedoch zugleich das Risiko für Prozessstörungen. Ihre mikrobielle Zersetzung erzeugt Verbindungen, die wichtige Bakterien und weitere Einzeller wie etwa die sogenannten Archaeen abtöten. Letztere sind wiederum elementar für die Methanbildung, den eigentlichen Zweck der Biogasanlage. In dieser komplexen mikrobiellen Gemengelage gibt es kein Patentrezept, weder für die Zusammensetzung der Einsatzstoffe noch für die Lösung aufkommender Probleme.

Zeigerarten bringen Licht in die Blackbox

„Es gibt in der Mikrobiologie noch keine Methodik, die Gemeinschaften in ihrer Funktionsfähigkeit zu überwachen“, erläutert Susanne Theuerl die Herausforderung. Hinweise, ob der Gärprozess im Fermenter wie gewünscht verläuft, könnten sogenannte Spezialisten unter den Mikroorganismen liefern, die für das Funktionieren der Gemeinschaften besonders wichtig sind. Sie signalisieren bereits im Vorfeld aufkommende Probleme oder weisen auf einen gut laufenden Prozess hin.  In Modellfermentationsanlagen am ATB erforscht Susanne Theuerl anhand gezielt herbeigeführter Störungen diese sogenannten Zeigerarten. Wenn man sie und ihr Verhalten kennt, können sie stellvertretend für die Gemeinschaft Auskunft über den Prozess geben.

In der Biogasanlage der Zukunft sollen Sensorsysteme dann diese wichtigen Zeigerarten sowie zusätzliche relevante chemische Parameter im Fermenter überwachen. Zeichnet sich eine Störung ab, könnten die Systeme automatisch eine Korrektur auslösen, zum Beispiel indem die Temperatur oder die Zusammensetzung der Einsatzstoffe angepasst werden. „Das ist noch Zukunftsmusik, aber es ist machbar“, zeigt sich Susanne Theuerl überzeugt. In fünf bis zehn Jahren, so schätzt sie, könnte es so weit sein. Derweil ist ein anderer Weg, die sensiblen mikrobiellen Gemeinschaften stressresistenter zu machen. Das funktioniert wie in anderen Gemeinschaften auch: Man stellt ihre Flexibilität immer mal wieder durch kleine Eingriffe auf die Probe, damit sie im Fall von ungewöhnlicher Belastung nicht gleich den Dienst quittieren. Trainieren für den Ernstfall sozusagen. „Bisher laufen diese Versuche nur im Labormaßstab ab, um Erfahrungen zu sammeln“, sagt die Mikrobiologin.

ATB-Direktorin Annette Prochnow ist überzeugt, dass moderne Biogasanlagen im künftigen Energiemix eine wichtige Rolle einnehmen können. Denn so komplex sie im Vergleich zum Windrad oder zu Solarzellen auch sein mögen, so einzigartig und wertvoll sind sie im Zusammenspiel der regenerativen Energie. Anders als Solarzellen und Windräder produzieren sie wetterunabhängig Strom. Für diese bedarfsgerechte Stromerzeugung können Betreiberinnen und Betreiber höhere Preise verlangen. Derzeit entwickeln und erproben die Forscherinnen und Forscher zudem modulare und mobile Ausführungen von Biogasanlagen. Die einzelnen Bestandteile könnten dann separat arbeiten und auf Anhängern dorthin transportiert werden, wo man sie braucht. Beispielsweise ließen sich so auf Großveranstaltungen bereits vor Ort die organischen Abfälle für die Verarbeitung im Fermenter aufbereiten. Oder komplette Mini-Biogasanlagen werden von Event zu Event gefahren.

Strom und Wärme aus Biogasanlagen, die ohne Energiepflanzen betrieben werden – Annette Prochnow ist vom Potenzial dieser Energieumwandlung überzeugt. Die Anlagen seien das perfekte Bindeglied in einer echten bioökonomischen Kreislaufwirtschaft, sagt die Forscherin: „Sie verwerten organische Reststoffe, produzieren aus ihnen Energie und hinterlassen zugleich wertvolle Gärreste“, schwärmt sie. Es spricht also alles dafür, diese Technik für die Zukunft zu rüsten.

Institution: Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB)
Ansprechpartner/in: Prof. Dr. Annette Prochnow

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